Diese Kritik erschien ursprünglich auf www.starplayers.de

Nach ein paar Filmperlen wagte sich der chilenische Regisseur Pablo Larraín, bei seiner ersten amerikanischen Produktion Jackie, an ein Portrait der vielleicht populärsten First Lady der US-Geschichte: Jackie Kennedy. Was diesen Film jedoch so einzigartig macht, erfahrt Ihr in meiner Review.

Wer bei Jackie ein opulentes Biopic über das Leben Jackie Kennedys erwartet, über ihre Herkunft, ihre Zeit im Amt, oder ihr Leben nach ihrer Zeit im weißen Haus, der wird wohl enttäuscht werden. Denn statt Jaqueline Kennedys Biografie verfilmt Larraín hier nur einen kurzen Zeitraum nach der Ermordung des Präsidenten.

Als Aufhänger dient hierfür ein Interview, das Jackie (Natalie Portman) eine Woche nach ebendieser einem Journalisten (Billy Crudup) gibt. Hierbei wird in Rückblenden Stück für Stück gezeigt, wie die Präsidentengattin den Mord an ihrem Mann aus nächster Nähe miterleben und im Nachhinein nicht nur seinen Tod verkraften, sondern sich auch um den Ablauf der Beerdigung kümmern und in absehbarer Zeit aus dem Weißen Haus ausziehen muss. Zudem werden immer wieder Teile einer Rekonstruktion der originalen Tour durch das Weiße Haus, die Jackie Kennedy 1962 für das amerikanische Fernsehen durchführte, gezeigt.

Die Story wirkt simpel, entfaltet aber gerade durch ihre Kompaktheit Raum für eine Inszenierung, die mehr macht als nur stumpf Geschichtsdaten abzuarbeiten. Für einige mag sich der Film etwas ziehen, meinen Geschmack hat die Story genau getroffen, gerade weil sie vieles anders macht als die meisten konventionellen Historienfilme, die oft genug zu nicht mehr als der lehrenden Aufführung im Geschichtsunterricht dienen. Noah Oppenheimers Skript will mehr, es will eine Charakterstudie zeichnen, und das gelingt durch die Story sehr gut, auch wenn hier natürlich viel Arbeit auf die Schauspieler und die Inszenierung geschoben wird, denn mit den falschen Leuten kann so ein Skript auch völlig nach hinten losgehen.

Hochklassiger Cast mit überzeugender Natalie Portman

Kommen wir also zum Cast. Hier ist es natürlich unvermeidlich, zuerst auf die Hauptrolle einzugehen: Natalie Portman (Black Swan, V wie Vendetta) macht ihre Sache als Jackie fantastisch. Jede Bewegung, jeder Satz, jeder Blick wirkt so, als ob sich eine First Lady in diesem Moment genau so verhalten würde. Portman wurde vorgeworfen, ihre Interpretation wäre übertrieben, die Sprache zu gestelzt, alles würde wirken, als würde sie nur jemanden spielen. Aber ist es nicht gerade das, was eine Präsidentengattin ausmacht? Dass sie eine eigentlich normale Frau ist, die durch Zufall den richtigen Mann gefunden hat und nun der Welt vorspielen muss, eine mediale Persönlichkeit zu sein? Wenn man die Aufnahmen der White-House-Tour mit der filmischen Rekonstruktion, die wirklich absolut originalgetreu aufgenommen wurde, vergleicht, sieht man, wie nahe Portman hier an das Vorbild herankommt. Eine großartige Leistung!

Natürlich darf auch der restliche Cast nicht vergessen werden. Peter Sarsgaard (Jarhead) spielt die Rolle des Bobby Kennedy trotz geringer optischer Resemblanz sehr überzeugend.  Mit Greta Gerwig (Frances Ha) kann man sowieso jeden Film ein wenig aufwerten, egal wie klein die Rolle ist. Ebenfalls schön ist es, den kürzlich verstorbenen John Hurt (Alien) in einer seiner letzten Rollen als Priester zu sehen, bei dem Jackie seelischen Beistand sucht. Weitere Rollen wurden mit Billy Crudup (Almost Famous), John Carroll Lynch (Zodiac) und Caspar Phillipson als nahezu perfektes Kennedy-Double auch sehr gut besetzt.

Kamera mit Blick fürs Detail

Ebenfalls ein Höhepunkt: Die Kameraarbeit von Stéphane Fontaine (Elle, Captain Fantastic). Die Kamera bleibt im Film beinahe immer sehr nah bei Jackie und fängt so perfekt den Strudel an Emotionen ein, den Portman abliefert. Dabei wird aber auch in der Bewegung der Kamera immer auf das Innenleben der Figuren eingegangen, seien es die bedrohliche Fahrt von hinten über das Auto mit dem gerade erschossenen Präsidenten hinweg, oder kleine Dinge wie die verlorenen Schwenker, wenn Jackie sich in einer Menschenmasse zurechtfinden muss: Bei quasi jeder Szene wurde sich etwas gedacht.

Dabei werden auch nicht immer die offensichtlichen Winkel gewählt, der Blick für die einprägsamen und besonderen Bilder ist immer da. Viele Einstellungen sind symmetrisch, alles scheint an seinem Platz, und doch wird diese Ordnung immer wieder eingebrochen. Ein Stehen und Fallen, wie es auch Jackie durchmacht. Eine tolle Kameraarbeit!

Musik, die einen heimsucht

Doch all das wäre noch gar nichts, ohne eine weitere Komponente des Films: Der Score. Mica Levi, britische Komponistin und bekannt geworden durch die ebenfalls tolle Filmmusik von Under the Skin, zaubert einen Sound geprägt von krächzenden Streichern, der den Zuschauer heimsucht, mit Erwartungen bricht und die Verlorenheit der Titelfigur so gut in Musik fasst, wie lange kein Soundtrack zuvor. Egal, ob während dem Attentat, bei der Beerdigung, oder in scheinbar normalen Gesprächen zwischendurch, immer wieder taucht der Score auf und erinnert einen an die Tragik der Situation, ohne zu übertreiben oder pathetisch zu werden. Wäre La La Land nicht schon gebucht gewesen, hätte der Score einen Oscar so gut wie sicher gehabt.

Auch der Rest des Sounds ist par excellence. Auffällig ist natürlich der Einsatz der Musik aus dem Camelot-Musical, das Kennedy nach Jackies Aussage geliebt hat und das im Nachhinein ein Symbol für die Amtszeit des Präsidenten wurde. Diese wurde fantastisch integriert. Auch die übrige Soundarbeit überzeugt, Geräusche wie die der Kugel des Attentäters brennen sich ein und bleiben im Kopf wie ebendiese in Kennedys.

Eine traumartige Reise

Was hat Larraín als aus dem Stoff gemacht? Eine Biografie, eine Charakterstudie, eine Lehrstunde? Vielleicht erzählt dieser Film mehr über Jackie Kennedy, als es ein ausführliches Biopic je könnte. Hier wird eine Frau gezeichnet, die in wenigen Sekunden fast alles verloren hat, was ihr wichtig war, und die damit keinesfalls souverän umgeht. Es geht um eine gebrochene Figur und mit ihr wird auch der Zuschauer gebrochen. Sei es durch die selbstzerstörerische Musik oder die traumhaften Kamerabilder, man wird mitgenommen auf eine Reise der Gefühle.

Dabei legt der Regisseur sehr großen Wert auf Realismus, immer liegt ein gewisser Filter auf den Bildern, um ein echtes 60er-Gefühl zu erhalten, teilweise werden sogar Originalaufnahmen mit eingebunden. Gleichzeitig geht Larraín sehr assoziativ, fast essayistisch vor. Immer wieder springt er von einer Zeitebene zur nächsten. Bei dem Gespräch mit dem Priester ist nicht mal wirklich klar, ob es an mehreren Daten stattfindet oder alles am selben Tag. Aber das ist auch nicht wichtig, denn im Gesamtbild ergibt sich ein großes Puzzle, dass sich nahtlos zusammenfügt. Die Story ist nebensächlich. Die stärksten Szenen sind die, in denen Jackie gedankenverloren durch das Weiße Haus streift und Dinge betrachtet.

Durch diese Technik zeigt der Film Jackie Kennedy als Frau mit Fehlern, die einem nicht sympathisch sein muss, mit der man sicherlich nicht einer Ansicht sein muss, aber die man danach mit Sicherheit zumindest glaubt verstanden zu haben. Es wird die Besonderheit eingefangen, welche die Kennedys in ihrer Zeit im Weißen Haus hinterlassen haben. Und das schafft man nicht bloß mit reinen Fakten.

Fazit

Ich bin 19 Jahre jung, deutsch und habe nicht das allergrößte geschichtliche Interesse. Mit den Kennedys habe ich mich nie großartig beschäftigt und von Jackie hatte ich bis vor kurzem noch nicht einmal etwas gehört. Und doch hat es dieser Film geschafft, mir die Faszination der Kennedys zu erklären und Jackie Kennedy mit all ihren Schwächen und Stärken greifbar zu machen. Dazu ist der Film handwerklich einwandfrei, sieht fantastisch aus und hat einen atemberaubenden Soundtrack. Ein trotz allgemein guter Kritiken noch unterschätztes Meisterwerk!